Bernds Amerika-Gamble

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Bernd Wiesberger lässt sich auf ein Vabanque-Spiel in Amerika ein: wenns nicht klappt, fliegt er aus den Top 50 der Welt.

Auf Amerikas Golfwiesen erlebt Bernd Wiesberger mehr Halloween als Thanksgiving. Das gute Masters-Debüt 2015 (Platz 22) täuschte über magere 10 Turniere in Amerika hinweg, wo er gerade mal 16 Zähler fürs World Ranking sammelte, weniger als 10% seiner Jahrespunkte. Bernd ist der einzige Spieler in der Weltelite noch ohne Top 10-Resultate in Amerika.

Im  Ryder Cup-Jahr 2016 hat Wiesberger neuerlich die Wahl, ob er lieber Euros oder Dollar nachjagen soll  – und entscheidet sich wieder für die fetteren Golfwiesen westlich des Atlantiks. Die Situation heuer ist jedoch eine andere: geht sein Gamble nicht auf und setzt es in den nächsten Wochen keine Topergebnisse auf den Plätzen in Kalifornien, Florida oder Georgia, dann droht der Rausfall aus den Top 50 der Weltrangliste, mit all den unangenehmen Nebenerscheinungen, die heißen könnten: Zuschauen beim Ryder Cup, keine automatische Qualifikation für Majors und WGCs, auch keine Amerika-Invites mehr.

Obwohl sich unser 30-jähriger Golfstar eigentlich heuer ganz auf die European Tour konzentrieren wollte – da ohne Spielrecht in Amerika und mit besseren Chancen auf die Ryder Cup-Qualifikation über die European Tour –  verzichtet er im Frühjahr auf die Turniere in Asien, die in der Vergangenheit seine goldenen Wiesen waren (Siege in Korea, Indonesien, Platz 2 in Malaysien).

Unverständlich? Ein Fehler? Im Gegenteil, recht hat er! Bernd hat nie ein Hehl daraus gemacht, was ihn antreibt: sich im Kreis der Allerbesten bei den Topturnieren beweisen. Und die sind nun einmal zwischen Februar und April alle in Amerika: Northern Trust, Honda Classic, dann die beiden WGCs Cadillac und Match Play, Houston, Augusta! Dort spielt die Golfmusik.

Bernds Kalkül: gut spielen musst Du überall für den Erfolg. Sich in Asien bei zweitklassigen Feldern zu verstecken um ein bisserl Selbstbewusstsein aufzubauen, wäre was für Weicheier. Als Top 50-Spieler gilt es mit breiter Brust aufzutreten und den Wettkampf im Kreis der Allerbesten zu suchen. Die Ergebnisse im Desert Swing waren zwar nicht berauschend, aber alle Zylinder im Wiesberger-Motor feuern im Prinzip im richtigen Takt und auf vollen Touren, nur noch nicht ganz synchron in Richtung Norden am Leaderboard.

Für den Ryder Cup kann man sich auch nicht über strategisches Punktehamstern qualifizieren. Diese Ehre kommt automatisch für die Jahresbesten, sozusagen als Zugabe und Bonus-Turnier – und heuer wahrscheinlich über Ergebnisse in Amerika, die ins Team von Hazeltine führen werden. Darren Clarke wird für seine drei Wild Card-Picks auch garantiert auf Schlachtrösser der Vergangenheit zurückgreifen, die es trotz guter Leistungen nicht direkt ins Team schaffen, also auch das kann Bernd vergessen.

Da Bernd kein Produkt amerikanischen College-Golfs ist wie ein Sergio Garcia oder Graeme MCDowell, hat er es dort naturgemäß schwerer. Gespannt dürfen die TV-Golffeinschmecker daher in den kommenden Wochen sein, wie sich Bernd auf Bermuda-Grüns in Florida präsentieren wird. Ob er Annäherungen in knochenharte Grüns besser hinbekommt und auf den widerborstigen Gräsern in Miami, Orlando und Houston den direkten Weg ins Loch findet. Wie er Bad Breaks mental wegsteckt, die jeden in Amerika erwischen und wie er sich im Kreis der weltbesten Putter auf der US PGA Tour schlagen wird.

Missed Cuts werden verschmerzbar, 25., 30. Plätze aber auch garantiert zu wenig sein. Bernd wird in den kommenden Monaten neue persönliche US-Höhen erklimmen müssen, also Top 5-Ergebnisse, damit sich der Flug über den Atlantik im World Ranking und der Non Members-Wertung der US PGA Tour auszahlt. Spätestens nach der US Open wird sich zeigen, ob der Höhenflug des BW weitergeht oder ob es eine Delle in der Karriereplanung setzt.

Von Joachim Widl

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